Fast, Abraham

geb. am 2. Januar 1886 in Blumstein, Molotschnaja (Ukraine), Russland, gest. am 15. September 1962 in Emden, Deutschland; mennonitischer Lehrer und Pastor.

Abraham Fast wurde als ältester Sohn eines Landwirts und Blaufärbereibesitzers in einer russlanddeutschen Mennonitenkolonie an der Molotschna geboren und hatte bereits mit achtzehn Jahren seine Ausbildung zum Grundschullehrer abgeschlossen. Nach einem einjährigen Schuldienst entschied er sich zur Weiterbildung und nahm sein Studium 1905 an einer Predigerschule in Basel (Schweiz) auf. Nach zweijährigem Studium und Erwerb der Hochschulreife in Bischofszell studierte er ab 1908 weiter an den Universitäten Basel und Heidelberg. 1912 erwarb er in Basel den Titel eines Lic. theol. mit einer Dissertation über die Freiheit des Willens bei den Täufern und zog noch in demselben Jahr mit seiner aus Worms stammenden Frau, Luise Händiges, zurück in die Ukraine, um in Halbstadt, dem Hauptort der Molotschnaja, an einer höheren Töchterschule zu unterrichten.

1914 hielt Fast sich mit seiner Frau und dem einjährigen Sohn besuchsweise in Worms auf, als der Weltkrieg ausbrach. Nach kurzer Internierung war er Erzieher an der mennonitischen Heimschule auf dem Weierhof (Pfalz) und dann Betreuer russischer Kriegsgefangener, die als Hilfskräfte auf deutschen Bauernhöfen arbeiteten. Angesichts der russischen Revolution im Oktober 1917 entschloss sich Fast 1918, die Predigerstelle in einer mennonitischen Gemeinde anzustreben. Es bot sich ihm die Wahl zwischen den Gemeinden in Lemberg (Galizien) und in Emden (Ostfriesland). Er entschied sich für →Emden.

Die Emder Gemeinde war die älteste Mennonitengemeinde im niederdeutschen Raum. 1530 soll der Kürschner Melchior →Hoffman dreihundert Menschen in der Großen Kirche zu Emden „wiedergetauft“ haben. Inzwischen war diese Gemeinde auf dreißig Mitglieder geschrumpft. Es waren zwar wohlhabende, angesehene Bürger der Stadt, die zu dieser Gemeinde gehörten, aber mehr als ein Dutzend Kirchenbesucher waren zu den Gottesdiensten nicht zu erwarten. Fast ließ sich davon nicht irritieren, sondern nahm die Gunst der Stunde wahr. Der verlorene Krieg brachte zwar viel Elend mit sich, war aber auch Anlass, neue Wege zu wagen. Wenn auf politischen Versammlungen die Arbeiterschaft offene Kritik an der Verquickung von Kirchen- und Staatsinteressen vortrug, meldete sich Fast zu Wort und bot eine herrschaftsfreie Sicht von Glaube und Religion an. Während sich das Desinteresse an konfessioneller Bevormundung in einer Kirchenaustrittsbewegung niederschlug, lieferte er auf diesen Versammlungen geistiges Rüstzeug, mit dem die Selbstständigkeit rationalen Denkens gegenüber kirchlicher Herrschaft begründet werden konnte.

Organisatorisch fand das einen Ausdruck auf mehreren Ebenen. Die Sonntagvormittagsgottesdienste wurden für die Gemeindeglieder beibehalten. An den Sonntagnachmittagen jedoch trafen sich im mennonitischen Kirchenraum geistig Interessierte zu Vorträgen, die von Gastrednern, meistens aber von Pastor Abraham Fast gehalten wurden. Ein Teil der Besucher kam aus der freireligiösen Gemeinde, die sich schon in früheren Jahren formiert hatte. Ein anderer Teil stammte aus dem gebildeten Bürgertum, dem die landeskirchlichen Gottesdienste zu festgefahren erschienen. Eine wesentliche Ergänzung dazu war der weltanschauliche Unterricht, der als Alternative zum landeskirchlichen Religionsunterricht starken Zuspruch fand und zeitweise in vier unterschiedlichen Klassen wöchentlich abgehalten wurde. Dieser Unterricht fand seinen Höhepunkt in einer Art Jugendweihe.

Für die traditionellen Mitglieder der Mennonitengemeinde war dies eine erregende Entwicklung. Zeitweise gehörte die Hälfte des Vorstands der sozialdemokratischen Partei in Emden dieser Bewegung an. Als sich die Frage stellte, ob die Mennonitengemeinde und die „Freireligiösen“ sich offiziell zusammenschließen sollten, wurden lange Gespräche, vor allem unter den Mennoniten mit Angehörigen anderer Mennonitengemeinden geführt. Schließlich führte das zu der Einigung, die freireligiöse Gemeinde aufzulösen und es jedem zu überlassen, Mitglied in der Mennonitengemeinde zu werden. Am 2. Februar 1926 sind im Mitgliederverzeichnis der Mennonitengemeinde 151 neue, erwachsene Gemeindeglieder eingetragen. Seit der Gründung der Gemeinde hatte es keinen solchen Zuwachs für die Mennoniten in Emden gegeben. Das war zweifellos das Verdienst der Öffentlichkeitsarbeit von Abraham Fast.

Die zahlreichen neuen Mennonitenfamilien sorgten während der nächsten Jahre für ein stetes Wachstum der Gemeinde. Doch mit dem Einfluss des Nationalsozialismus stellte sich eine gegenläufige Tendenz ein. A. Fast, der seine neuen Gemeindemitglieder gerade auch bei den Sozialdemokraten gefunden hatte, musste einige von ihnen 1933 und 1934 im Gefängnis besuchen. Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass Fast die Gefahr, die von der nationalsozialistischen Bewegung ausging, in ihrem Ausmaß erkannt oder auch nur davor gewarnt hätte. Immerhin gehörte er nicht zu denen, die ihren alttestamentlichen Namen ablegten. Seine tiefe Verwurzlung im Geistesleben der deutschen Klassik und im deutschen Idealismus („deutsche Geistesart“) ermöglichte gelegentlich aber eine gewisse Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus. So distanziert er den Deutschen Christen gegenüberstand, so sehr war er 1933 doch bemüht, eine „Eingliederung unserer kleinen Gemeinde mit ihrer überlieferten Eigenart in den Neubau einer lebendigen volkskirchlichen Gesamtorganisation im Deutschen Reich“ (Menn. Blätter 6, 1933, 114) zu fördern (→Drittes Reich).

Nach dem Krieg 1945 organisierte er zusammen mit seiner Frau ein Hilfswerk, das in der Hungerzeit von nordamerikanischen Mennoniten ausgerüstet wurde und über die konfessionellen Grenzen hinaus Gutes wirkte.

Bereits in den zwanziger Jahren waren die Dienste Abraham Fasts gelegentlich auch von den mennonitischen Nachbargemeinden in Anspruch genommen worden. Daraus entstand in den vierziger Jahren die Konferenz der nordwestdeutschen Mennonitengemeinden, zu denen heute noch die Gemeinden Emden, Leer, Norden und Gronau/Westf. gehören. Sie waren durch einen Geist geprägt, der durch seine Liberalität auch viele Außenstehende anzog. 1957 gab Abraham Fast sein Amt an seinen jüngsten Sohn, Dr. Heinold →Fast, weiter.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Der Geist des Mennonitentums (Aus einer Predigt, gehalten zum 150jährigen Bestehen der Mennonitenkirche in Emden am 30. November 1919), in: Mennonitische Blätter LXVIII, 1920, 12–15. - Versammlung der Bevollmächtigten des mennonitischen Verbandes in Süd-Russland am 3. und 4. Januar 1922 in Margenau, in: Mennonitische Blätter, LXIX, 1922, 27–29. - Das Mennonitentum, sein Erbe, seine Aufgabe, sein Geist. Zwei Vorträge und eine Predigt anlässlich des 400jährigen Reformationsjubiläums der Taufgesinnten oder Mennoniten im Januar 1925, Emden 1925. - Nie wieder Krieg! Oder Niemals Frieden! – ?, in: Mennonitische Blätter LXXIV, 1927, 57–60. - Kurze Glaubenslehre für freie Protestanten, Selbstverlag 1928. - De Mennoniten in het nieuwe Duitsland, in: Zondagsbode XLVII, 1934, 50, 54, 58, 66, 70, 74, 77 f. - Die Kulturleistungen der Mennoniten in Ostfriesland und Münsterland, 1949. - A Sight-Seeing Tour of Emden – Before and After, in: Mennonite Life, 4, Januar 1949, 30–33. - Glaubenslehre eines freien Christentums, o. J. 1956. - Aus unserem Leben. Aufzeichnungen zum Tage der goldenen Hochzeit, Emden 1962.

Zeitschriften (selbst verfasst und herausgegeben)

Freie Religion (14 Nummern, 1926–1929). - Nachrichten-Blatt für Mitglieder und Freunde der Mennonitengemeinden in Emden, Leer, Nordhorn und Gronau (Nr. 1–6, 1929/30). - Gemeindebrief der nordwestdeutschen Mennonitengemeinden (Nr. 1–4 und 6, Juni 1948 – August 1949). - Nachrichten für die nordwestdeutschen Mennonitengemeinden (September 1953 – Juli 1957).

Literatur

Abraham Fast †, in: Der Mennonit 1962, 127. - Pastor i. R. Abraham Fast, in: Ostfriesland. Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Verkehr 1962, 4, 42. - Luise Fast, Auf der Suche nach Herkunft und Aufgabe. Erinnerungen aus acht Jahrzehnten, in: Der Mennonit 1970, 75 f. - Ger van Roon, Protestants Nederland en Duitsland 1933–1941, Utrecht und Antwerpen 1974, 23. - Heinold Fast, Art. Abraham Fast, in: Bibliographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. II, hg. von Martin Tielke, Aurich 1997.

Heinold Fast (bearb. von Hans-Jürgen Goertz)

 
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