Wiswedel, Wilhelm

geb. am 7. April 1877 in Parsau, OT Ahnebeck, Landkreis Gifhorn, Deutschland, gest. am 15. September 1962 in Bayreuth, Deutschland; Baptistenprediger, Verfasser zahlreicher Beiträge zur Geschichte des Täufertums.

Wilhelm Wiswedel, drittes Kind einer Bauernfamilie, wurde 1894 in der Baptistengemeinde (→Baptismus) Parsau getauft. Nach Volksschule und Militärdienst arbeitete er seit 1901 als Schriftenmissionar in Nordhausen, bevor er 1903–1907 an das baptistische Predigerseminar in Hamburg-Horn ging. Als Prediger wirkte Wiswedel in Chemnitz von 1907 bis 1923, in Schmalkalden von 1923 bis 1932 und in Bayreuth von 1932 bis 1951. Er nahm an den baptistischen Weltkongressen in Philadelphia 1911 und Stockholm 1923 teil. Seinen Ruhestand verlebte er in Bayreuth.

Voraussetzung der umfangreichen publizistischen Produktion Wiswedels war die Hochblüte der baptistischen Zeitschriftenpresse in der Zeit der Weimarer Republik. Wiswedel orientierte sich an erwecklichen und „positiven“ theologischen Positionen, verfolgte aber darüber hinaus ein breites Spektrum theologischer Neuerscheinungen. Sein besonderes Anliegen war die Täufergeschichte, über die er seit 1913 zahlreiche populärwissenschaftliche Kurzaufsätze in baptistischen Periodika, später auch mehrere Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichte. Durch Korrespondenzen mit Gustav Bossert d. Ä., Paul Wappler und Johann Loserth wurde Wiswedel zu selbstständigen Studien angeregt. Dank einer Bürgschaft der Stadt Schmalkalden konnte er umfangreiche ungedruckte Quellentexte aus dem Nachlass Josef Becks im Mährischen Landesarchiv Brünn an seinen Wohnort entleihen. Die Kenntnis dieses Materials sowie eigene Archivstudien sicherten ihm für bestimmte Bereiche einen Informationsvorsprung vor der zeitgenössischen akademischen Forschung. Seine Aufgabe sah er jedoch nicht in der wissenschaftlichen Arbeit, sondern in der Popularisierung und Aktualisierung täuferischer Traditionen für den deutschsprachigen Baptismus.

Wiswedel bevorzugte, was sich von seinen Arbeitsbedingungen her nahelegte, die Form der biographischen Skizze oder der thematischen Einzeluntersuchung. Seiner baptistischen Leserschaft legte er einen identifikatorischen Zugang zu den Täufern nahe, indem er befremdliche Züge des historischen Täufertums sowie Gruppenbildungs- und Abgrenzungsprozesse innerhalb desselben in den Hintergrund treten ließ. Gegen die Tendenz zu einer „normativen“ Gesamtsicht des Täufertums und die daraus resultierende Marginalisierung von Balthasar →Hubmaier und Hans →Denck bestritt Wiswedel, der in den beiden die bedeutendsten Theologen des Täufertums sah, rundweg die Möglichkeit, die Geschichte des Täufertums „unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu schildern“, denn es handle „sich überall um kleinere und größere Gruppen und Kreise, die immer nur stellenweise miteinander zu verbinden sind.“ Die in Buchform gesammelten Bilder und Führergestalten aus dem Täufertum (3 Bde., 1928–1952) erfreuten sich großer Beliebtheit in baptistischen Gemeinden.

Beachtung von akademischer Seite fanden Wiswedels Widerspruch gegen die von Karl Eberlein unter Berufung auf Karl Holl wiederholte These, Thomas →Müntzer sei der Urheber der Täuferbewegung (1930), Quellenpublikationen zu Oswald Glaidt (1937) und zu Gabriel Ascherham (1937) und eine Studie zum „inneren und äußeren Wort“ bei den Täufern (1952). Wiswedel wurde von nordamerikanischen mennonitischen Forschern wie Robert →Friedmann und Harold S. →Bender sowohl wegen seiner ausgedehnten Quellenkenntnis als auch wegen der erbaulichen Tendenz seiner Beiträge geschätzt.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Bilder und Führergestalten aus dem Täufertum, 3 Bde., Kassel 1928–1952. - Balthasar Hubmaier, der Vorkämpfer für Glaubens- und Gewissensfreiheit, Kassel 1939. - Ich traue seinen Wunderwegen [Lebenserinnerungen], Bayreuth 1949. - War Thomas Müntzer wirklich der Urheber der großen Taufbewegung? in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 30, 1929/30, 268–273. - Gabriel Ascherham, in: Archiv für Reformationsgeschichte 34, 1937, 1–35; 235–262. - Oswald Glait von Jamnitz, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 56, 1937, 550–564. - Das Schulwesen der Huterischen Brüder, in: Archiv für Reformationsgeschichte 37, 1940, 38–60. - Balthasar Hubmaier, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 15, 1940, 129–159. - Die alten Täufergemeinden und ihr missionarisches Wirken, in: Archiv für Reformationsgeschichte 40, 1943, 183–200; 41, 1948, 115–132. - The Inner and the Outer Word, in: Mennonite Quarterly Review 26, 1952, 171–191. - Zum „Problem inneres und äußeres Wort“, in: Archiv für Reformationsgeschichte 46, 1955, 1–9.

Ca. 30 Artikel im Mennonitischen Lexikon; ca. 700 Beiträge u. a. in „Der Wahrheitszeuge“ (Kassel), „Der Hilfsbote“ (Kassel), „Der Friedensbote“ (Kassel), „Der Sendbote“ (Cleveland, Ohio). - Herausgeber: „Schmalkalder Bote, Mitteilungsblatt der Gemeinden gläubig getaufter Christen in Südwestthüringen“ (um 1927). - Teilnachlass: Oncken-Archiv Elstal.

Literatur

Daniel Pasche, Wilhelm Wiswedel zum 75. Geburtstag, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1953, 47 f. - Robert Friedmann, Wilhelm Wiswedel – His Service to Anabaptist Appreciation, in: Mennonite Life, Jan. 1955, 41–45. - Martin Elsholz, Wilhelm Wiswedel zum Gedächtnis, in: Die Gemeinde (Kassel) 42, 1962, 11 f.

Martin Rothkegel

 
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