Biel / Brügg (Alttäufer)

1. Vorgeschichte und Gemeindegründung

Die früheste täuferische Präsenz in Biel und Umgebung ist auf Georg Blaurock zurückzuführen. Mit anderen Täufern traf er 1528 in Biel ein, „wo es schon eine ansehnliche Versammlung gab“, und predigte „im Bittenberg auf St. Bartholomee und beim großen Stein im Eichholz“ (heute Bartlomehof in Safnern und Findling am Eichhölzliweg in Biel). Auch im 18. Jahrhundert ist die Anwesenheit von Täufern in der nächsten Umgebung der Stadt Biel belegt: Von 1744 bis 1795 verpachtete die Stadt Biel ihre Hirtung in Leubringen oberhalb von Biel (das heutige Weisshaus) an Bendicht Wahli, einem auch über Täuferkreise hinaus geachteten und in den Juragemeinden tätigen Täuferprediger. Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es von Ältesten der Juragemeinden Sonnenberg und Kleintal-Moron betreute Versammlungen in Biel und in Brügg. 1964 stellte die →Konferenz der Mennoniten der Schweiz Paul Baumann als Prediger für die Gemeinden →Bern und die Versammlungen in Biel an. Die Gründung der eigenständigen Gemeinde in Biel erfolgte 1966.

2. Versammlungsorte und Einzugsgebiet

Gegründet wurde die Gemeinde als „Altevangelisch Taufgesinnten-Gemeinde Biel (Mennoniten)“. Versammlungen gab es aber von Anfang an sowohl in der Stadt Biel, in der Jurakapelle der Evangelischen Gesellschaft (heute Evangelisches Gemeinschaftswerk) wie auch im südlich von Biel gelegenen Dorf Brügg. Das Einzugsgebiet liegt in einem Umkreis von 20 km rund um Biel, an der deutsch-französischen Sprachgrenze. Die Gemeinde ist grundsätzlich deutschsprachig, bis Ende der 1980er Jahre gab es aber monatlich französische Bibelstunden in Biel, von 1982/83 versuchsweise auch eine französische Sonntagschulgruppe. Seitdem die Versammlungen in Biel in den 1990er Jahren allmählich reduziert und 1992 ganz aufgegeben wurden, nennt sich die Gemeinde seit 1995 „Mennonitengemeinde (Alttäufer) Brügg“. In Brügg trafen sich die Täufer anfänglich in einem auch von den „Offenen Brüdern“ genutzten Versammlungslokal. 1967 konnte die Konferenz der Schweizer Mennoniten von Samuel H. →Geiser die Liegenschaft an der Poststraße 3 erwerben. Die Gemeinde gestaltete den Gewerberaum im Erdgeschoss in ihren Versammlungssaal um. Die Wohnungen wurden von Gemeindemitgliedern und Predigerfamilien gemietet und die Wohnung im Erdgeschoss seit den 1970er Jahren für die Gemeindeaktivitäten genutzt. 1977 erwarb die Gemeinde die benachbarte Liegenschaft Poststraße 5 für soziale Projekte, die Planungen sind jedoch nie umgesetzt worden. 2005 konnte sie das inzwischen renovierte Haus an eine Familie aus der Gemeinde verkaufen. Der Erlös diente als Grundstock für die Errichtung eines Neubaus mit einem großen Saal und weiteren Gemeinderäumen. Dieser wurde 2007 errichtet und im Mai 2008 eingeweiht. Die Gemeinde erlebte bei der Finanzierung dieses Bauprojekts große Solidarität anderer Gemeinden und der →Konferenz der Mennoniten der Schweiz.

3. Gemeindeentwicklung

Die Gemeinde Biel/Brügg zählte bei der Gründung 39 Mitglieder und stieg bis Mitte der 1980er Jahre auf 80. Der Durchschnitt der aktiv Beteiligten lag aber immer bei der aktuellen Mitgliederzahl von 50, wobei es viele Zu- und Wegzüge von Mitgliedern gab. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder hat bis heute traditionell-mennonitischen Hintergrund mit Ursprüngen in den Juragemeinden und im Emmental. Dass viele potentielle Mitglieder in ihrem Einzugsgebiet wohnten, jedoch Mitglieder der Juragemeinden blieben, war für Biel/Brügg ein immer wieder schwer einzuordnendes Phänomen. Wie früher so gibt es auch heute vermehrt Mitglieder mit anderem freikirchlichen Hintergrund. Sie haben sich bewusst wegen der täuferischen Gesinnung dieser Gemeinde angeschlossen.

4. Organisation

Bis in die 1970er Jahre finanzierte die Konferenz der Schweizer Gemeinden je eine Halbzeitstelle für die Gemeinde Biel/Brügg und Bern. Auf Paul Baumann folgten 1973 Jean-Michel Ummel, der nach nur 4 Monaten tödlich verunglückte, und von 1976 bis 81 Ernst Gerber als angestellte Prediger und Älteste. Der Ausfall von Jean-Michel Ummel, aber auch bewusste Bestrebungen von Ernst Gerber führten dazu, dass der Predigt- und Ältestendienst schon bald auf verschiedene Gemeindemitglieder im Laienstatus verteilt wurde. Seit 1990 wird die Ältestenverantwortung gemeinschaftlich vom Gemeindeleitungs- und Verkündigungsteam wahrgenommen (6 – 8 Personen, Männer und Frauen) und im Besuchsdienst vom Diakonieteam unterstützt. Über viele Jahre erfolgten diese Dienste ehrenamtlich, 1995–99 wurden sie von Christoph Kaeslin und seit 2010 von Riki Neufeld als teilzeitliche Gemeindemitarbeiter und Pastoren entlastet. Die hohe Arbeitsbelastung für die ehrenamtlich Mitwirkenden führte die Gemeinde zu kreativen Ansätzen in der Gottesdienstgestaltung, beispielsweise zu „Miteinander-Gottesdiensten“ mit spontaner Beteiligung aller Anwesenden oder zu liturgischen Abendfeiern, die von verschiedenen Gemeindemitgliedern anhand einer vom Verkündigungsteam ausgearbeiteten Liturgie geleitet wurden. Regelmäßig wurden auch Gastpredigerinnen und -prediger hinzugezogen, die in den 2000er Jahren zugunsten höherer Kontinuität teils auch als so genannte Dreimonatsbegleiter hinzugezogen wurden. Insgesamt sind die Verantwortung und das Engagement in der Gemeinde breit abgestützt. Im Jahresbericht 2011 werden 16 Arbeitsgruppen mit insgesamt 96 Posten erwähnt, bei rund 50 Mitgliedern dürfte klar sein, dass es dabei viele Doppel- und Dreifachmandate gibt.

5. Prägung und Eigenheiten der Gemeinde

Ernsthaftes Interesse am Glauben und lebendige Gemeinschaft sind die zwei herausragenden Charaktereigenschaften der Gemeinde. Die Gemeinschaftspflege erfolgt bei Gottesdiensten, monatlichem Kirchenkaffee oder Suppenessen, jährlichen Gemeindewochenenden oder -ausflügen, aber auch in Sonntagschule, Teentreff, Jugendgruppe, Frauengruppe, Seniorentreffen, Hauskreisen und den verschiedenen Arbeitsgruppen. Konstruktives Miteinander wird gezielt gepflegt und gefördert, auch in der Gemeindeentwicklung. So wurden Fragen zur Gemeindezukunft in den 2000er Jahren partizipatorisch und in einer bewussten Kombination von kognitiv-analytischen und geistlich vertiefenden Zeiten geprüft, mit gut moderierten Workshops und Sitzung einerseits, Exerzitienzeiten und Stillen Tagen andererseits. Glaube wird in der Gemeinde grundsätzlich als Kraftquelle und Orientierungshilfe für den Alltag verstanden, einschließlich des sozialen Engagements vieler Gemeindemitglieder. Genährt wird er durch gemeinsames Feiern, Verkündigung und Bibelstudium und die Gemeinschaftserfahrung. Theologisch liegt die Verkündigung im Rahmen des Glaubensbekenntnisses der Schweizer Mennoniten. Bei internen Spannungen, die die Gemeinde seit der Gründung auch immer wieder begleiteten und belasteten, ging es kaum je um grundsätzliche theologisch-dogmatische Fragen, sondern eher um verschiedene persönliche Funktionsweisen und unterschiedliche Ideen der Gemeindeausrichtung und -führung. Klar ist, dass die Verbindung zu Gott durch Jesus Christus und den Heiligen Geist und die Verbindung zu den Mitmenschen zusammengehören. So unterstützt die Gemeinde über verschiedene mennonitische Organisationen und Projekte aktiv Missions-, Hilfs- und Friedensprojekte in aller Welt. Gesellschaftlich vor Ort engagierte sie sich von 1968 bis 1994 mit Kinderstunden für Kinder aus dem Dorf, sie ist seit 1996 in ein Sozialprojekt für Jugendliche in Biel involviert. Seit 2009 führt sie zudem in ihren alten Gemeinderäumlichkeiten einen Weltladen und ein nach Prinzipien der Nachhaltigkeit geführtes Bistro.

6. Verbindung zu anderen Gemeinden und Kirchen

Die Mennonitengemeinde Biel/Brügg ist Mitglied der Konferenz der Mennoniten der Schweiz. Bis Ende 1990er Jahre pflegte sie die Beziehung zu den anderen Mennonitengemeinden der Schweiz rege durch die monatliche Einladung eines Gastpredigers für Gottesdienste und von Chören und Predigern zu den jährlichen Gesanggottesdiensten, Bibelabenden und Jahresfesten. Auch Gemeindeeinladungen hin und her stärkten die Beziehungen. Mit der Bibelschule Bienenberg war die Gemeinde ab 1972 durch jährliche Besuche von Bibelschülergruppen, 1983 bis 1994 durch Einsatzwochen von Bibelschülern und später noch zweimal durch mehrmonatige Praktikumseinsätze von Studierenden verbunden. Weil das Konferenzhaus in Brügg für alle Schweizer Gemeinden zentral gelegen ist, treffen sich hier regelmäßig Arbeitsgruppen der Konferenz zu ihren Sitzungen. Auch über Konferenzmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die zur Gemeinde gehörten, war die Gemeinde über viele Jahre mit der Konferenz verbunden. Eine besonders rege Beziehung ergab sich über die Jahrzehnte mit der Gemeinde Bern, anfänglich durch den von der Konferenz für beide Gemeinden gemeinsamen angestellten Prediger, dann durch ähnliche Bedürfnisse und in Form von Austausch unter den Gemeindeleitungen, gemeinsamer Unterweisung oder der gemeinsamen Jugendgruppe. An den Aktivitäten der Evangelischen Allianz Biel beteiligte sich die Gemeinde über die Jahrzehnte eher zurückhaltend. Am stärksten war sie mit dem Evangelischen Gemeinschaftswerk verbunden, weil sie deren Kapelle in Biel nutzte, zudem hat sie sich in den letzten Jahren der kirchlichen Unterweisung diesem Gemeinschaftswerk angeschlossen. Mit den Reformierten in Brügg pflegte sie regelmäßig Kontakte, feierte gemeinsame Gottesdienste oder führte Themenabende durch. Im ökumenischen Rahmen gestaltet die Mennonitengemeinde Brügg seit Jahren die Weltgebetstagsfeier vor Ort mit, und seit 2005 ist sie auch offiziell an den ökumenischen Triduumsfeiern der Region beteiligt – wenn auch diese Veranstaltungen von der Gemeinde weniger aktiv mitgetragen werden.

Quellen

Protokolle und Jahresberichte der Gemeinde ab 1964. - Artikel zu Georg Blaurock und Bendicht Wahli, in: Mennonitisches Lexikon.

Anschrift der Gemeinde: Mennonitengemeinde Brügg, Poststr. 3, CH-2555 Brügg BE www.bruegg.menno.ch.

Jürg Rindlisbacher

 
www.mennlex.de - MennLex V :: loc/biel_bruegg.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/09 17:45 (Externe Bearbeitung)     Nach oben
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