Mennonitischer Freiwilligendienst

Der Mennonitische Freiwilligendienst (MFD, 1950 bis 1971) stellt einen kleinen Ausschnitt auf der „Arbeitslagerbewegung“ dar, die im frühen 20. Jahrhundert auf eindrucksvolle Weise weltweit in Erscheinung trat. Diese Bewegungen hatten Staaten, politische Parteien und soziale Bewegungen ergriffen, die Arbeitslager zur Indoktrination, Charakterbildung, Massenerziehung und Kontrolle nutzten (z. B. die Hitlerjugend, und nationalsozialistischen Arbeitslager, die zynischer Weise Zwangslager für Sklavenarbeit bzw. Lager für verdeckten Völkermord waren). Die Arbeitslagerbewegung wurde weithin von religiösen Gruppen wie den nordamerikanischen →Quäkern geführt, die „Einheiten zum Wiederaufbau“ mit ihrer Ankunft am 7. September 1917 auf französischem Boden ins Leben riefen, und von idealistischen und „utopischen“ Lagern angeführt, wie die „Swiss Action for Peace"- Lager des Pierre Ceresole, 1924.

1. „Voluntary Service Camps“ – Begriff und Planung

Der Begriff „Voluntary Service Camps“, auch oft „Arbeitslager“ genannt, beschreibt den Inhalt deutlich als körperlichen, psychologischen und sozialen Freiwilligendienst, der sich bitterer Not der Menschen mit einem besonderen Projekt während eines bestimmten Zeitraums (meistens im Sommer) annahm und war oft mit erheblichen persönlichen Kosten für den Freiwilligen verbunden. Diese Arbeitslager wurden von religiösen oder philanthropischen Gruppen unterstützt und betrieben, gelegentlich sogar von Regierungsstellen, wie den Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika „Peace Corps“, unterstützt. Jedes Lager verfolgte bestimmte Ziele, wie den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen, die Instandsetzung von Kriegsschäden oder das Training für die Arbeit in sozialen Konfliktfeldern. Gewöhnlich wurden die Lager aufgelöst, wenn die Schäden oder die Krise behoben waren. Fast überall bekundeten die Freiwilligen, dass das Ergebnis der freiwilligen Arbeit „größer war als die Kosten, die dafür aufgewandt werden mussten“. An zweiter Stelle standen die unerwarteten persönlichen Freundschaften, die sich über religiös kulturelle und staatliche Grenzen hinweg für lange Zeit eingestellt hatten.

Die sozialen Bedingungen des frühen 20. Jahrhunderts in Europa rangierten nicht oben auf der Tagesordnung der mennonitischen Gemeinschaft, die ländlich und landwirtschaftlich geprägt und recht selbstgenügsam war, auch am Rande lebte, ausgenommen davon waren die Mennoniten in den Niederlanden, die Züge zunehmender Verstädterung aufwiesen. So konnte die langsame Erholung von der verzweifelten Situation nach dem Ersten Weltkrieg nicht in vollem Maße das Bewusstsein der Mennoniten erfassen, auch nicht, was das Entstehen der freiwilligen Dienstlager in Europa betraf.

2. Das Mennonite Central Committee und die Gründung der Arbeitslager

Die Gründung des →Mennonite Central Committee (MCC) 1920 in Nordamerika stellte auf recht zufällige Weise eine Organisation dar, die bereit war, sich der europäischen Verwüstung um 1945 zu stellen. Das MCC eröffnete 1944 sein europäisches Büro in London, und die erste Einheit zum Wiederaufbau kam 1946 auf der Isel Walcheren in Holland an. Inzwischen hatten Sommerlager der Freiwilligen bereits in Nordamerika zu arbeiten begonnen, so brachte das „Council of Mennonite and Affiliated Colleges“ ein Auslandsstudienprogramm“ in Gang und sandte 1947 eine erste Gruppe nach Europa, um nicht nur europäische Kultur zu studieren, sondern auch mit ähnlichen Jugendgruppen in einem Sommerlager zum Wiederaufbau zusammenzuarbeiten. Diese Begegnungen waren höchst erfolgreich und wurden über mehrere Jahre fortgeführt. Die zurückkehrenden Studenten setzten sich für die Vertiefung der persönlichen Kontakte ein und konnten das MCC davon überzeugen, beim Hochkommissar für das besetzte Deutschland (HICOG) um Erlaubnis zu bitten, Möglichkeiten für Studenten aus verschiedenen europäischen Ländern und aus Nordamerika zu schaffen, die gemeinsam für eine gute Sache arbeiten wollten. Zwei Arbeitslager in Hamburg und auf Schloss Ronneburg wurden mit nachhaltigem Echo eingerichtet. Ebenfalls wurden einige kleinere Arbeitslager deutscher und nordamerikanischer Jugendlicher, unterstützt von süddeutschen Mennoniten, ins Leben gerufen.

3. Schneller Ausbau des Programms

Diese schnelle Entwicklung ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: die fast totale Zerstörung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur, besonders in Deutschland, und eine verlorene Generation junger Leute, die keine Aussicht auf eine sinnvolle und erfolgreiche Zukunft hatten. Das MCC antwortete schnell mit Hilfe, indem es 1948 ein aus Freiwilligen bestehendes offizielles Büro in Frankfurt am Main unter der Leitung von Paul →Peachey einrichtete, dem Deutschland-Direktor des MCC. Er wurde beauftragt, andere Sommerlager und ein permanentes Freiwilligenlager in →Espelkamp (Westf.) zu organisieren, das vom MCC und von der Conservative Mennonite Conference 1948 getragen wurde. Ein anderes permanentes Lager entstand 1949 in Leutesdorf am Rhein. Die wachsende Begeisterung für das Freiwilligendienstprogramm, die von Jugendlichen aus Europa und Nordamerika auf Freiwilligentreffen zum Ausdruck gebracht wurde, überzeugte das MCC von der unwiderstehlichen Kraft des Programms.

Calvin Redekop, der zum Freiwilligendienst nach Espelkamp im Januar 1950 angereist war, wurde im April 1950 nach Frankfurt geschickt, um Paul Peachey in der Planung und Führung von sechs Lagern während des Sommers 1950 zu unterstützen. Der Frankfurter Stab war bald zur Einsicht gelangt, dass die mennonitischen Konferenzen in Europa dringend in dieses Unternehmen einbezogen werden müssten. So entstand der Mennonitische Freiwilligendienst (MFD) unter Billigung des MCC-Hauptquartiers in Akron (Pennsylvania).

4. Das Führungsgremium des Mennonitischen Freiwilligendienstes

Auf einem Treffen der Freiwilligen aus sechs Lagern am 22. Dezember 1950, das gemeinsam mit der jährlichen Versammlung des MCC stattfand, wurden einige Leiter europäischer Mennonitengemeinden vom MCC eingeladen, Mitglieder im Führungsgremium des Freiwilligendienstes zu werden: Samuel Gerber (Schweiz), Ernest Hege (Frankreich) und Walter Mosiman (Deutschland), einige Monate später kam noch der Niederländer Adriaan Swaartendijk hinzu. Dieser Vorstand hatte die Aufgabe, das Freiwilligenprogramm weiter zu entwickeln und für die finanzielle Ausstattung zu sorgen. Für die Kosten der Lager mussten die Freiwilligen nicht aufkommen, so dass die notwendigen Mittel anderswo zu beschaffen waren. Das MCC hatte fast alle Kosten des ersten Jahres übernommen, aber gegen Ende des Jahres traten die deutsche Regierung mit dem Arbeitskreis internationale Gemeinschaftsdienste (AIG), die lutherische Kirche und andere Gruppen wie Eirene (International Christian Service for Peace) u. a. dafür ein.

5. Die Auflösung des Mennonitischen Freiwilligendienstes

Während der Zeit des MFD von 1950 bis 1971 traten ihm mindestens 5.564 Freiwillige aus 36 verschiedenen Ländern bei. Sie arbeiteten auf zahlreichen Gebieten, von der Beseitigung der Flutschäden in den Niederlanden und bis zu Projekten in Griechenland und Israel. Über 262 Lager wurden in 24 Ländern durchgeführt. Neun ehemalige Freiwillige aus Deutschland, den Niederlanden und den USA dienten als Direktoren während der elf Jahre, in denen das MFD existierte. Die Gründe für die ziemlich hastige und unerwartete Auflösung des MFD, waren mannigfaltig und komplex. Es werden aber hauptsächlich folgende gewesen sein: Die katastrophalen Nöte in Europa nach dem Krieg waren allmählich einigermaßen beseitigt worden; die Chancen für die jungen Leute, andere Wege für ihr berufliches Weiterkommen zu finden, waren enorm gestiegen; und die Jahre des gelingenden Wiederaufbaus verführten die Gemeinden, zu den alten doktrinären Konflikten (Fundamentalismus versus Modernismus) zurückzukehren, auch zum nationalistischen und patriotischen Selbstbewusstsein, das wichtiger zu sein schien, als die weltweiten Krisen und Möglichkeiten, interreligiöse Zusammenarbeit auf internationaler Ebene zu suchen und das Leid der Menschen lindern zu helfen.

Literatur

Calvin Redekop, European Mennonite Voluntary Service: Youth Idealism in Post-World II Europe, Scottdale, PA, 2010. - Ders., Calvin Redekop, The Pax Story, Telford, PA, 2002, 343; dort auch Kap. 5: „The Transformation and Termination of Mennonite Voluntary Service“ (27–38). - Richard Hertzler, Art. Mennonitischer Freiwillligendienst, in: Mennonite Encyclopedia 3, 649.

Calvin W. Redekop

 
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